Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Brandenburg e. V.

Selbstbewusste Fahrradszene feiert Gipfel in Ljubiljana

Die Velo-City, die jährliche Konferenz der Fahrradbürger:innen, ist soeben in Ljubiljana zuende gegangen. Tino Freißler vom ADFC Brandenburg war dabei und hat Trends und Themen mitgebracht.

von Christine Keilholz

Tino Freißler kennt Ljubiljana gut. Als Student ist er in der slowenischen Hauptstadt viel Rad gefahren. Mitte Juli war er wieder dort als Gast auf der Velo-City, dem internationalen Gipfel der Radfahrer:innen. Seit 1980 kommt die Fahrrad-Szene jährlich auf dieser Konferenz zusammen. Mit dabei sind begeisterte Radfahrer:innen, Verkehrsforscher:innen, Hersteller:innen wie auch Vertreter:innen aus Städten, die fahrradfreundlicher werden wollen. „Es geht dort um die Zukunft des Radverkehrs“, sagt Freißler, der als Abgesandter des ADFC Brandenburg kam.

Die Velocity brachte vom 14. bis 17. Juli rund 1300 Teilnehmer:innen aus 60 Ländern in Ljubiljana zusammen. Ausrichter ist der Fahrradverband Europas, die European Cyclist‘s Federation (ECF). Damit gibt Ljubiljana die Größenordnung vor für Leipzig, wo das Event im kommenden Jahr stattfinden soll. Was es dann zu erwarten gibt, konnte Freißler in Ljubiljana gut erkennen. „Ich habe gemerkt, dass es überall ähnliche Probleme gibt“, berichtet er gegenüber Radzeit, „und es gibt überall tolle Ansätze in unterschiedlichen Bereichen, um diese Probleme zu lösen.“

Ljubiljana ist Vorbild als fahrradfreundliche Metropole 

Aktive Mobilität lautet das wichtigste Stichwort der Velo-City. Die Förderung des Radfahrens als nachhaltige und gesunde Fortbewegung zog sich durch die 350 Vorträge auf der vier Tage langen Veranstaltung. Corona hat der Szene einen Schub gegeben. Weltweit nutzen seit der Pandemie mehr Menschen das Rad. Die Verkaufszahlen steigen. „Die Leute wollen Rad fahren“, sagt Tino Freißler. „Man muss ihnen Radwege geben, dann nutzen sie sie auch.“ Dafür ist Ljubiljana ein gutes Beispiel. Die Stadt mit knapp 300.000 Einwohnern hat Lebensqualität gewonnen, seit sie das Konzept der autofreien Innenstadt ausprobierte. Das hat viel Verkehr auf das Rad verlagert. In zehn Jahren ist der Anteil an städtischen Leihrädern in der Metropole um 86 Prozent gestiegen.

Das obwohl im Osten Europas die Lobby für das Radfahren längst nicht so organisiert ist wie in den westlichen Ländern. Ljubiljana hat mehrere Kampagnen gestartet, um den Bürger:innen die Vorteile von innerstädtischem Radtourismus nahezubringen. Radtourismus ist ein boomender Sektor in ganz Europa - und Deutschland führt hierbei die Statistik an. Kein anderes Land in Europa wird häufiger von Radtouristen besucht. Zurzeit arbeitet die ECF am Netz der sogenannten Euro Velo Routen. Wenn dieses weltweit größte Netz an Radfernwegen fertig ist, soll es laut Schätzungen des Netzwerks sieben Milliarden Euro an Umsatz generieren. 

Afrika entdeckt das Rad als Entwicklungsbeschleuniger

Auch in den ärmeren Ländern der Welt ist das Fahrrad auf dem Siegeszug. Waren es früher die Nordeuropäer und insbesondere die Niederlande, die den Ton angaben, so meldete sich in Ljubiljana globale Süden zu Wort. Etwa Nigeria, wo immer mehr Fahrradprojekte oder auch technische Hilfsprogramme das Radfahren forcieren. In Ländern mit weniger hohem Lebensstandard, wo sich Energiekrise, Ernährungskrise und Klimakrise deutlich auswirken, kann das Fahrrad Entwicklungsschübe bewirken, ist Tino Freißler überzeugt: „In den Ländern des globalen Südens bedeutet das Fahrrad individuelle Freiheit, die sich jeder leisten kann. Die Menschen kommen leichter von Dorf zu Dorf.“ Die Vorteile liegen auf der Hand. Räder haben einfache Technik, brauchen wenige Teile und, sind günstig in Beschaffung und Unterhalt. „Wer Wasser holen muss, dem ist mit einem Lastenrad geholfen.“

In Deutschland hat sich das Radfahren auf dem Land längst nicht als Fortbewegung im Alltag durchgesetzt. Tino Freißler stammt aus Spremberg in der Lausitz, er kennt die Probleme in einer Umgebung, die selbstverständlich auf das Auto setzt. In der Lausitz wurde die Radinfrastruktur seit den 90er Jahren ausgebaut, die touristische Linienführung ist gut. „Leider fehlen noch immer wichtige Radwege zwischen Dörfern und der nächsten Stadt - und leider sieht die lokale Politik dafür oftmals keine Notwendigkeit“, sagt er. Deutschland ist noch immer Autoland, der Wandel in den Köpfen dauert. „Jetzt kommt es an auf Promotion und Kommunikation.“

Intelligenter Verkehrsmix und Räder in Zügen diskutiert

So sieht es weltweit aus. Radfahren populärer zu machen, das nannten die meisten Delegierten der Velo-City als notwendig. Der Fahrradgipfel ist auch eine Austauschbörse für Trends. Wie das Mountainbike, das weltweit mehr Freunde findet. Sogar in Flachländern wie Dänemark, wo es inzwischen 300 Mountainbike-Trails gibt. Weil immer mehr Frauen das Radfahren für sich entdecken, hat auch das Thema Gender Einzug in die Velo-Community gehalten. Frauen haben andere Bedürfnisse auf dem Rad als Männer, dem muss die Branche und die Interessenvertretung mit guten Angeboten begegnen.

Schließlich wird das E-Bike ein wachsender Faktor des Radverkehrs. Pedelecs sind Gamechanger im innerstädtischen Verkehr, wo noch immer die passende Radwege-Infrastruktur fehlt. Wie sich der Verkehrsmix in Zukunft fahrradfreundlicher gestalten lässt und wie sich Fahrradmitnahme in Fernverkehrszügen besser organisieren lässt - das bleiben die ungeklärten Zukunftsfragen der Szene, auf die sich Leipzig 2023 einstellen kann.


Dieser Artikel ist in der aktuellen RADZEIT-Ausgabe 3/2022 erschienen, dem Mitgliedermagazin vom ADFC Berlin und ADFC Brandenburg


https://brandenburg.adfc.de/neuigkeit/selbstbewusste-fahrradszene-feiert-gipfel-in-ljubiljana

Bleiben Sie in Kontakt